Begabter Jugendlicher mit ungewöhnlichen Interessen: Christian Herren als 14-Jähriger.

Ganz schön frühreif

Christian Herren hat einige andere Interessen als Durchschnittsteens: Mit 11 Jahren wird er Ahnenforscher, mit 12 steigt er in den Kunsthandel ein, mit 13 schreibt er ein Buch.

Christian Herren war zwölf, als er zusammen mit Hanni Salvisberg Lesungen hielt. Nach einer solchen Veranstaltung verriet ihm die damals 80-jährige Bauern-Dialektschriftstellerin das Rezept für «Äschelouge», wie man sie einst an den Waschtagen benutzte.

«Man braucht für die Lauge Eierschalen, Buchenasche und Tannenharz», erzählt der 14-Jährige aus Spengelried, einem winzigen Ortsteil von Mühleberg BE. «Sofort probierte ich das Rezept aus. Und siehe da, es funktioniert: Man kann mit dieser Schmierseife wirklich Wäsche waschen.»

Die Vergangenheit und ganz besonders das Leben des Politikers Jakob Freiburghaus (1854–1927) faszinierten den Jugendlichen seit Jahren. Er wollte alles über seinen Ururgrossvater erfahren.

Seine Kenntnisse bezog der junge Geneaologe nicht nur aus Erzählungen seiner Verwandten. Er erschloss sich das Leben seines Ururahns auch aus Akten. Viele Dokumente stöberte er in Archiven auf, andere fand er in einer Kammer im Hause seiner Grossmutter. Sie kamen ihm wie ein Schatz vor. Die Urkunde, welche die Wahl seines Ururgrossvaters in den Nationalrat dokumentiert, hängt gerahmt in Christians Zimmer.

Historisches Buch des Grünschnabels

Die Geschichte seiner Familie schildert Christian in altertümlich gepflegter Sprache im Buch «Grünschnabels Blick zurück nach vorn – Zukunft braucht Herkunft». Dieses hat er als Dreizehnjähriger im Rahmen des Begabtenförderungsprojekts «Schreibfreude fördern» des Mühleberger Oberstufenzentrums Allenlüften verfasst. Die Bilder des Buchs muss die Familie eigenhändig ausschneiden und einkleben. Eine aufwändige Arbeit. Deshalb ist es auch nicht im Buchhandel erhältlich, sondern nur bei den Herrens selbst.

Christians Ururgrossvater Jakob Freiburghaus war mehr als 50 Jahre Politiker, 30 davon als Nationalrat. Zusammen mit dem späteren Bundesrat Ruedi Minger gründete er die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei BGB. «Ich bewundere Freiburghaus, weil er liberal war und den anderen zuhörte. Er dachte staatsmännisch, nicht politisch. Nie ging es ihm darum, politische Gegner auszuschalten», betont der Retro-Teenager und fügt an: «Seine BGB war offen, eine Fortschrittspartei.»

Der Zug hielt auf offener Strecke für Christians Ururgrossvater

Auch den Bahnbau habe sein Ururahn gefördert, «allerdings war er da nicht ganz uneigennützig. Er sorgte dafür, dass die Bern–Neuenburg-Bahn bei ihm in Spengelried vorbeifuhr. Wenn er, der ‹Vater› der Bahn, am Trassee seinen Spazierstock hob, hielt der Zugführer an und nahm ihn mit.»

Die alten Aktien der Bern–Neuenburg-Bahn bewahrt er auf. Selbstverständlich stilecht in einer Kommode aus der Gründerzeit. Und jetzt, in der Gegenwart, braust unweit des Bauernhofs der TGV vorbei. Sein Ziel ist Paris, und auf offener Strecke würde er nie anhalten. Nicht mal für einen Bundesrat.

Ein echter Krüsi zum Schnäppchenpreis

Dass er sich nicht nur für seine Familiengeschichte interessiert, sondern auch eine gute Nase für Kunst hat, bewies Christian an einer Auktion der Galerie Stuker in Bern. Dort ersteigerte er, der auf alte Meister wie van Dyck oder Rembrandt steht und Michelangelo und Da Vinci bewundert, mit seinem Sackgeld ein Werk des Art-brut-Künstlers Hans Krüsi – für nur 200 Franken. «Das ist der preiswerteste Krüsi der letzten 20 Jahre», staunte der Auktionator.

Der junge Käufer hat offenbar Eindruck gemacht. Denn heute arbeitet er in der Freizeit bei Stuker: Er assistiert beim Beurteilen der Qualität antiker Bücher und beim Schätzen ihres Wertes für den Auktionskatalog.

Eine kulturbeflissene Familie

Spengelried, das sind drei Häuser, die zum stattlichen Bauernhof gehören, umgeben von nichts als Natur. Auf der Wiese weiden Kühe. Zuckerrüben werden angebaut, Gerste, Weizen, Mais – sowie Rollrasen für Sportplätze und Einfamilienhäuser. Der Blick schweift über die Jurakette und die Voralpen. Man sieht bis zum Eiger und zum Finsteraarhorn.

Ist das die Umgebung, in der ein Jugendlicher auf die Idee kommt, sich der Historie und der Kunst zu widmen? Die Gegend war wohl nicht ausschlaggebend, seine Eltern sind es dafür umso mehr: Im ehemaligen Gesindehaus der Familie Freiburghaus, wo die Herrens leben, ist Kunst allgegenwärtig. Christians Mutter, die Lehrerin und Heilpädagogin Marianne Herren, hat ihren Sohn mit der Liebe zur Sprache infiziert. Und Vater Kurt Herren, ehemaliger Swissair-Pilot und heutiger Gemeinderatspräsident von Mühleberg, ist mitverantwortlich, dass sein Sohn begeistert Ballon fährt und Pilot oder Politiker werden wollte.

Doch das ist eine Ewigkeit her – «sicher schon zwei Jahre». Nun ist der Weg klar – vorläufig zumindest: Christian Herren will Kunstgeschichte studieren und dann im Kunstauktionsgewerbe arbeiten. Als Experte, der die Echtheit und den Wert von Kunstwerken beurteilt. Doch erst einmal besucht er das Neufeldgymnasium in Bern. Schliesslich ist er enorm clever für sein Alter, mit 14 aber doch noch ein wenig zu jung fürs Studium.

Von Beat A. Stephan

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